Samstag, 6. April 2013

Ich hab dich zum Fressen gern

Wieso haben wir nach wie vor kein Problem damit, Tiere zu töten und sie zu essen obwohl es uns in vielen anderen Bereichen gelungen ist, uns weiterzuentwickeln und archaische Prinzipien und Verhaltensweisen hinter uns zu lassen? Und wieso finden wir es in Ordnung, Kühe und Schweine zu essen, bei Hund und Katz heben wir allerdings empört die Hände und appellieren plötzlich an die Moral?



In der fortwährenden Debatte ums Fleischessen, Vegetarismus und Veganer hatte die New York Times ihre Leser vor ziemlich genau einem Jahr im Rahmen eines Wettbewerbs aufgefordert zu argumentieren, warum Fleisch essen ihrer Meinung nach ethisch sei.

Als ehemalige Vegetarierin (jaja, ehemalig...) und Teilzeit-Yogini, lässt mich die Frage nicht kalt, sobald sie wieder irgendwo auftaucht. Ich bin mir bis heute nicht schlüssig, ob es in Ordnung ist, Fleisch zu essen. Allein die Tatsache, dass mich die Frage jedes Mal irgendwie auf dem falschen Fuss erwischt, sagt vermutlich viel über meine eigentliche - aber leider ganz und gar theoretische - Überzeugung aus. Nichtsdestotrotz esse ich Fleisch und mag’s irgendwie nicht lassen. 

Von yogischer Seite her wäre der Fall eigentlich klar. Fleisch essen sollte man lassen. Einerseits zählt Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, zu den höchsten Prinzipien der Yoga-Philosophie. Für den Yogi ist alles Leben heilig. Jede Kreatur ist ein lebendiges Ganzes, mit Herz und Gefühl, Atem und Gespür. Da Fleisch totes Tier ist und bis zum Moment, in dem wir es essen bereits ein Verwesungsprozess eingesetzt hat, glaubt der Yogi zudem, dass keine Keimkraft mehr im Fleisch steckt. Fleisch gibt uns keine neue Lebensenergie, im Gegenteil, es schwächt unseren Organismus. 

Fleischliebhaber argumentieren hingegen gerne damit, dass wir, um uns zu ernähren und zu überleben, seit jeher Tiere gegessen haben. Ohne die Proteine, die unsere Vorfahren aus dem Fleisch zu sich genommen haben, wäre die menschliche Entwicklung nicht an dem Punkt angelangt, an dem wir heute stehen. Ja, ich stimme dem zu. Irgendwie. Allerdings waren wir - wenn wir an die Höhlenmenschen zurückdenken - auch noch nicht so viele. Und wir mussten die Tiere unter grosser körperlicher Anstrengung jagen. Es herrschte ein mehr oder minder fairer Kampf. Einmal war das Mammut schneller, einmal der Mensch. Und wenn sich Vater Feuerstein den Knöchel verstauchte und deshalb kein Tier erlegen konnte, musste die Sippe tage- oder wochenlang auf Fleisch verzichten. Heute züchten wir Tiere explizit mit dem Ziel, sie zu töten und zu essen. Und das tun wir oft, sie essen. Bewegen müssen wir uns dazu nur noch bis zum nächsten Supermarkt. Obwohl wir uns in vielen Lebensbereichen zivilisiert und weiterentwickelt haben, gelingt es einer Mehrheit beim Fleischessen nicht.

Die Vertreter der Steinzeiternährungstheorie erklären das damit, dass sich zwar unser Lebensstil, seit wir noch in Höhlen hausten, rasant weiterentwickelt habe, sich unser Körper allerdings biologisch gesehen noch immer in der Steinzeit befinde. Die Evolution schreitet langsam voran und so kommt unser Körper (noch) nicht damit klar, dass wir uns erst seit ein paar Jahrzehnten markant weniger bewegen und erst seit noch kürzerer Zeit von verarbeiteten Lebensmitteln und Fastfood ernähren. Glaubt man den Vertretern dieser Theorie, liegt im Verzehr der falschen, neuen Lebensmittel (mitunter auch Getreide) die Wurzel allen Übels und aller Zivilisationskrankheiten. Gesund blieben wir demzufolge nur durch eine Ernährung, die überwiegend aus Fleisch und Wurzelgemüse besteht und tief in uns drin scheint unser Körper das noch zu wissen.

Ich finde diese These interessant. Leider löst sie aber weder die Ethikfrage noch mindert sie mein latent schlechten Gewissen. Die Frage drängt sich auf, ob es nicht schlichtweg überholt ist, Fleisch zu essen. Uns stehen heutzutage so viele alternative und hochwertige Eiweissquellen zur Verfügung, die ökologisch sinnvoll gewonnen werden können, dass Fleisch essen irgendwie antiquiert scheint. Ganz zu schweigen davon, dass die Tiere, die wir in der westlichen Welt für unsere Fleischeslust züchten - etwas polemisch und sehr banal gesagt - der hungernden Bevölkerung in der Dritten Welt das Getreide wegfressen und das Wasser wegsaufen. Die Ressourcen sind knapp, verringern sich weiter und doch verschwenden wir weiter Wasser, Boden und Getreide, um uns den Luxus des Fleischkonsums aufrechtzuerhalten.

Vor einiger Zeit, als das schlechte Gewissen wieder einmal überhand nahm, hatte ich bei uns zu Hause den "Meat free Monday" eingeführt. Übergeschwappt ist der Trend eines fleischfreien Tages pro Woche aus den USA. Kurzzeitig hatten ihn verschiedenen Kantinen, Restaurants, Wäre-gern-Gutmenschen - und eben ich - übernommen. So richtig scheint sich die Strömung allerdings nicht durchgesetzt zu haben. Auch bei uns zu Hause hat sich der vegetarische Tag wieder im Sand verlaufen. Die Familie war wenig begeistert und mir fehlten schlichtweg der Biss und die kreativen Ideen, um - eins gegen drei - für die Sache zu kämpfen und die nötige Überzeugungsarbeit zu leisten. Beim Gemüseauflauf heulten die Kinder auf wie Sirenen, beim dritten Mal Tomatenspagetti verdrehte der Mann die Augen. 

Ein weiters, von der Fleischlobby gerne bemühtes Argument ist, dass Fleischessen einfach das Natürlichste der Welt sei. Das mag früher einmal so gewesen sein. Heute trennen wir jedoch Produktion (Schlachten) und Konsum so strikt, dass Kinder erst mit der Zeit realisieren, dass das Wienerli im Fall auch Fleisch ist und erst nochmals einen Schritt später begreifen, dass das einmal ein Säuli war. Ich vergesse den Moment nicht, als unsere ältere Tochter ihrer jüngeren Schwester während des Nachtessens lang und breit erklärte, dass die Wurst auf ihrem Teller im Fall aus Säulifleisch gemacht sei und sie somit grad ihr Lieblingstier esse. Das Entsetzen war riesig und ich habe mich einfach nur schlecht gefühlt, als mich die Kleine mit Tränen in den Augen angeschaut und gefragt hat: Gell, Mami, das stimmt nicht...!? Und ich dann sagen musste: Ähhhhmmmm, jaaaaaa, also, tja, ööööhhhmmm, doch eigentlich stimmt das schon... Grauenhaft. Ihr Blick sprach Bände und sagte es unmissverständlich: Verräter! Das Nachtessen war erledigt, ich auch, die Grosse wollte plötzlich ganz genau wissen, wie man denn die Tiere tot macht und die Kleine hat nur noch geheult ab der schmerzhaften Erkenntnis, dass wir ihr eine tote Sau in die Wurst gepackt und auf dem Teller serviert haben. 

Schlussendlich stellten beide Kinder Fragen wie, ob wir denn auch unser Büsi einmal essen werden (Nein! Um Himmels Willen, Kinder wo denkt ihr hin! - Aber wenn wir doch auch die herzigen Säuli essen, wieso denn keine Hunde und Katzen? Und was ist mit Meerschweinchen? - Kinder, ihr macht mich fertig...) und ob es denn nicht gemein sei, Tiere einfach so töten, um sie zu essen, und ich wusste keine gute Antwort darauf. Doch, es ist wahrhaftig saugemein, dass wir das tun und trotzdem tun wir es. Wieso wir weiterhin mitmachen? Ich weiss es nicht. Die Lust auf Fleisch mag das letzte archaische Überbleibsel sein, das noch in uns steckt. Eine Entschuldigung ist das nicht, höchstens der schwache Versuch einer Erklärung.

Auch die Argumentation des Gewinners des New York Times Wettbewerbs überzeugt mich übrigens nur ansatzweise. Falls es Sie interessiert, lesen Sie hier.

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