Oder was ist eigentlich aus den Träumen unserer Jugend geworden?

Es war ein Interview mit einem Kriegsreporter, Kurt Pelda heisst er. Und während ich den Boden schrubbte, Spiegel putzte und Lavabos polierte, hörte ich zu, wie der Kriegsreporter von seinem Alltag erzählte. Und die Frage beantwortete, weshalb er Kriegsreporter geworden ist. Und warum er es für total legitim hält, auch heute noch, wo er eine Familie hat und hier in der Schweiz ein komfortables, ruhiges Leben führen könnte, immer wieder zurück nach Syrien und in andere Krisengebiete zu reisen, dabei jedes Mal sein Leben zu riskieren und das Risiko in Kauf zu nehmen, seine Kinder zu Halbwaisen zu machen. Er sagt, dass er das tut, da er schlichtweg von der Wichtigkeit überzeugt ist, dass wir alle über Kriege und Menschen, die unter diesen Kriegen leiden informiert werden. Er will gegen das Vergessen und gegen das Verschweigen ankämpfen und berichten, dass es nicht richtig ist, was auf der Welt abgeht. Als er sich dann als Musikwunsch auch noch Donovan, Bob Dylan und The Clash aussuchte, war mein Urteil gefällt. Hoffnungsloser Fall von wandelndem Klischee und unverbesserlichem ideologischem Gutmenschen mit Hang zu verstaubter Nostalgie.
Nachdem das Interview zu Ende war, merkte ich, dass ich ins Grübeln geraten war. Plötzlich, als hätte jemand einen grauen Schleier gelüftet, erinnerte ich mich an eine längst vergangene Zeit, als ich die Welt noch verändern wollte, als ich nicht daran zweifelte, dass ich es in der Hand habe, die Welt verbessern zu können und ich mir sicher war, dass die Welt nur darauf wartet, verändert zu werden. An eine Zeit, die geprägt war von Ideologien. Es waren vielleicht nicht immer meine ureigenen, aber ich brannte dafür. War Feuer und Flamme für eine Sache. Wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen, dass ich seither von so vielen Idealen meiner Jugend abgerückt bin und das Feuer dafür soweit abgeflaut ist, dass ich heute bestenfalls noch mitleidig seufze, aber weder die Faust noch meine Stimme erhebe, wenn in Syrien die Zivilbevölkerung vor die Hunde geht? Oder umgekehrt - wieso gelingt es gewissen Menschen, ihr Feuer am Lodern zu halten und auch heute noch alles zu riskieren, um ihrer Überzeugung zu folgen? Vermutlich weil es sich dabei um echte Leidenschaft handelt. Und noch wahrscheinlicher, weil sie weit furchtloser sind, als ich es jemals war.
Die Feindin der Leidenschaft ist die Vernunft. Sobald sie überhandnimmt, ist es um die Leidenschaft geschehen. Die Träume zu realisieren, dich ich in jugendlich leichtsinnigen Jahren hatte, hätten ein gewisses Mass an Mut und Unvernunft bedurft, das mir damals trotz lauter Klappe nicht gegeben schien. Und so hat sie sich schleichend und leise verabschiedet, ist Stück für Stück irgendwo auf dem Weg zurückgeblieben, die Leidenschaft.
Ich nehme mir für die Erziehung meiner Kinder selten feste Vorsätze, was ich dann irgendwann einmal unbedingt ganz bestimmt so und so machen werde. Auch gibt es wenige Dinge, die ich ganz klar anders zu machen beabsichtige, als meine Eltern es gemacht hatten. Eine Sache allerdings, die ich mir hier und jetzt fest vornehme und somit schriftlich festhalte: Ich werde die Kinder dabei unterstützen, ihre Träume zu realisieren und ihre Leidenschaften zu entfalten, damit sie vielleicht sogar einmal Beruf und Berufung vereinen können. Naja... Fragen Sie mich dann noch einmal wenn die ältere Tochter wirklich Pferdepflegerin und die jüngere Seiltänzerin werden will.
Mein Urteil über den Kriegsreporter Kurt Pelda habe ich - kurz nachdem er mich durch seine Geradlinigkeit ich in eine mittlere existenzielle Lebenskrise gestürzt hat - selbstverständlich differenziert und revidiert. Er hat meinen vollsten Respekt, meine Anerkennung und einen ganz kleinen Teil meines Neides dafür, dass er sich mit Haut und Haar einer guten Sache verschrieben hat und diesen Weg unbeirrt weiterverfolgt. Und eigentlich ist nicht mal sein Musikgeschmack wirklich schlecht; verdammt...