Dienstag, 30. April 2013

Herzblut


Oder was ist eigentlich aus den Träumen unserer Jugend geworden?

Letzthin habe ich mir einen Podcast angehört. Ich entwickle seit kurzem eine Suchttendenz wenn es um Podcasts geht. Podcasts zu hören versetzt mich zurück in meine Kindheit wo ich Nachmittage lang Hörspielkassetten hörte. Es wirkt ungemein beruhigend, einfach so, aber doch ganz bewusst, jemandem, einer Geschichte, zuzuhören. Die entdeckte Begeisterung für Podcasts bewahrt mich übrigens auch davor, hier an dieser Stelle eine nicht enden wollende Hasstirade übers Putzen vom Stapel zu lassen und Sie mit langen, undifferenzierten und nichtssagenden Äusserungen über die wohl frustrierendste und sinnloseste Tätigkeit der Welt zu langweilen. Im Gegensatz zum Hausmann der Nation, der das Putzen ja gerne zu einer Symphonie der Lust und Sinnhaftigkeit hochstilisiert, ist mein Verhältnis dazu doch eher schlicht. Ich hasse es. Ich hasse es inbrünstig. So sehr, dass ich mich bereits wieder dabei ertappe, mich darüber auslassen zu wollen. Aber ich schweife ab, es geht hier nicht ums Putzen. Nur am Rande darum, dass es etwas erträglicher geworden ist, seit ich mir dazu Podcasts anhören.

Es war ein Interview mit einem Kriegsreporter, Kurt Pelda heisst er. Und während ich den Boden schrubbte, Spiegel putzte und Lavabos polierte, hörte ich zu, wie der Kriegsreporter von seinem Alltag erzählte. Und die Frage beantwortete, weshalb er Kriegsreporter geworden ist. Und warum er es für total legitim hält, auch heute noch, wo er eine Familie hat und hier in der Schweiz ein komfortables, ruhiges Leben führen könnte, immer wieder zurück nach Syrien und in andere Krisengebiete zu reisen, dabei jedes Mal sein Leben zu riskieren und das Risiko in Kauf zu nehmen, seine Kinder zu Halbwaisen zu machen. Er sagt, dass er das tut, da er schlichtweg von der Wichtigkeit überzeugt ist, dass wir alle über Kriege und Menschen, die unter diesen Kriegen leiden informiert werden. Er will gegen das Vergessen und gegen das Verschweigen ankämpfen und berichten, dass es nicht richtig ist, was auf der Welt abgeht. Als er sich dann als Musikwunsch auch noch Donovan, Bob Dylan und The Clash aussuchte, war mein Urteil gefällt. Hoffnungsloser Fall von wandelndem Klischee und unverbesserlichem ideologischem Gutmenschen mit Hang zu verstaubter Nostalgie.

Nachdem das Interview zu Ende war, merkte ich, dass ich ins Grübeln geraten war. Plötzlich, als hätte jemand einen grauen Schleier gelüftet, erinnerte ich mich an eine längst vergangene Zeit, als ich die Welt noch verändern wollte, als ich nicht daran zweifelte, dass ich es in der Hand habe, die Welt verbessern zu können und ich mir sicher war, dass die Welt nur darauf wartet, verändert zu werden. An eine Zeit, die geprägt war von Ideologien. Es waren vielleicht nicht immer meine ureigenen, aber ich brannte dafür. War Feuer und Flamme für eine Sache. Wie um alles in der Welt konnte es so weit kommen, dass ich seither von so vielen Idealen meiner Jugend abgerückt bin und das Feuer dafür soweit abgeflaut ist, dass ich heute bestenfalls noch mitleidig seufze, aber weder die Faust noch meine Stimme erhebe, wenn in Syrien die Zivilbevölkerung vor die Hunde geht? Oder umgekehrt - wieso gelingt es gewissen Menschen, ihr Feuer am Lodern zu halten und auch heute noch alles zu riskieren, um ihrer Überzeugung zu folgen? Vermutlich weil es sich dabei um echte Leidenschaft handelt. Und noch wahrscheinlicher, weil sie weit furchtloser sind, als ich es jemals war.

Die Feindin der Leidenschaft ist die Vernunft. Sobald sie überhandnimmt, ist es um die Leidenschaft geschehen. Die Träume zu realisieren, dich ich in jugendlich leichtsinnigen Jahren hatte, hätten ein gewisses Mass an Mut und Unvernunft bedurft, das mir damals trotz lauter Klappe nicht gegeben schien. Und so hat sie sich schleichend und leise verabschiedet, ist Stück für Stück irgendwo auf dem Weg zurückgeblieben, die Leidenschaft. 

Ich nehme mir für die Erziehung meiner Kinder selten feste Vorsätze, was ich dann irgendwann einmal unbedingt ganz bestimmt so und so machen werde. Auch gibt es wenige Dinge, die ich ganz klar anders zu machen beabsichtige, als meine Eltern es gemacht hatten. Eine Sache allerdings, die ich mir hier und jetzt fest vornehme und somit schriftlich festhalte: Ich werde die Kinder dabei unterstützen, ihre Träume zu realisieren und ihre Leidenschaften zu entfalten, damit  sie vielleicht sogar einmal Beruf und Berufung vereinen können. Naja... Fragen Sie mich dann noch einmal wenn die ältere Tochter wirklich Pferdepflegerin und die jüngere Seiltänzerin werden will.

Mein Urteil über den Kriegsreporter Kurt Pelda habe ich - kurz nachdem er mich durch seine Geradlinigkeit ich in eine mittlere existenzielle Lebenskrise gestürzt hat - selbstverständlich differenziert und revidiert. Er hat meinen vollsten Respekt, meine Anerkennung und einen ganz kleinen Teil meines Neides dafür, dass er sich mit Haut und Haar einer guten Sache verschrieben hat und diesen Weg unbeirrt weiterverfolgt. Und eigentlich ist nicht mal sein Musikgeschmack wirklich schlecht; verdammt...

Im Sinne des langsam verglimmenden Feuers recke ich hiermit jedenfalls die müde Faust zur Zimmerdecke, schmettere vom bequemen Sofa in der beschaulich grün-grauen Agglomeration aus ein inbrünstiges: Hoch! Die! Internationale! Solidarität! und wünsche einen leidenschaftlich bewegten schönen 1. Mai!


Dienstag, 16. April 2013

Schöne Ferien!

Schöne Ferien? Wer Familienferien macht, merkt, wie wandel- und dehnbar der Begriff schön doch eigentlich ist. Und irgendwie nebensächlich.

Ich erinnere mich dunkel an eine Zeit, als ich den Begriff Ferien mit Entspannung, Liegestühlen, Büchern, einer Prise Sport, ab und zu einer Rückenmassage und viel süssem Nichtstun assoziierte. Die Destinationen waren entweder exklusiv, kulturell vielschichtig oder zumindest anspruchsvoll (Helloooo India! Aber das ist eine andere Geschichte…), immer mehrere Flugstunden entfernt und sie trugen wohlklingende Namen wie die Malediven, Bali, Belize, Thailand oder Wakatobi. (Tja, da müssen Sie jetzt googlen, was?) Buchungskriterien waren die Artenvielfalt der Unterwasserwelt, wie viele Tauchgänge pro Tag angeboten wurden, ob der Wasserbungalow noch zu haben, das Restaurant ausgezeichnet und ein SPA vorhanden war.

Sie spüren Wehmut in meinen Worten mitschwingen? Tja, was soll ich entgegnen? Man könnte an dieser Stelle natürlich einfach cool mit den Schultern zucken und sagen, dass man sowieso schon alles gesehen, schon alles gemacht hat und man – müsste man auch nur noch ein einziges Mal auf die Malediven – den totalen Inselkoller kriegen würde. Könnte man. Ich kann Ihnen aber auch ganz einfach ehrlich sagen, wie es wirklich ist. Man bekommt Kinder. Und alles ist auf einen Schlag anders. 

Als frischgebackene Eltern versucht man ja eine kurze, anstrengende Zeit lang noch krampfhaft an seinem alten Leben festzuhalten. Das letzte, woran man denkt, bevor einen der Schlafentzugs-Wahnsinn mit voller Wucht niederstreckt und klares Denken für mehrere Monate nicht mehr möglich ist: Bloss nicht in diese grässliche Familien-Falle tappen und so bieder und trostlos enden wie alle andern Familien, die man – kurz bevor man selber eine gegründet hat – als abschreckendes Beispiel vor Augen hatte. 

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang mit leichtem Schauern an den krampfhaften ersten und letzten Versuch der herkömmlichen Ferienplanung mit unserer älteren Tochter. Der Plan war einfach: Genau wie früher, jetzt einfach mit knapp einjährigem Kind, extrem leger und entspannt nach Thailand zu fliegen und dort drei erholsame und erlebnisreiche Wochen zu verbringen. Alles klar. Nachdem wir den gefühlte 100 Stunden dauernden Flug mit dem bewegungsfreudigen Krabbelkind, das alle paar Stunden in der beklemmenden Enge der Flugzeugtoilette gewickelt werden musste (nein, diesmal gehst du, ich war das letzte Mal dran, nein du, nein du!), überstanden hatten, stellte sich heraus, dass unsere Tochter die Klimaumstellung von Januarkälte auf lauschige 30 Grad im Schatten nicht wirklich zu schätzen wusste. Den heissen Sand verabscheute sie zutiefst und ich kann mich nicht erinnern, dass die beiden Erwachsenen, die in dieser Geschichte vorkommen, in den coolen Strandlounges jemals gleichzeitig gechillt, geschweige denn gegessen hätten. Eine der Bierflaschen wurde immer warm und blieb halbvoll stehen. Die Zeitumstellung tat den Rest. Hätten wir für dieses Erlebnis nicht beinahe unseren gesamten Jahresurlaub geopfert, wir hätten zur Regeneration aller Beteiligten gerne noch zwei Wochen Erholung zu Hause angehängt. 

Mit der Zeit, und sobald man sich der Bieder-Falle untertänig ergeben hat - erwischen tut sie einen so oder so -, wird man dann vernünftiger. Mit der Konsequenz, dass sich die Feriendestinationen verändern. Sie kommen quasi näher und werden dabei irgendwie kleiner. Diametral dazu entwickelt sich hingegen das Ausmass an Gepäck, das mitgeführt wird. Praktisch wird zum zentralen Begriff der Ferienplanung, wie eigentlich generell des Lebens mit Kindern. Komm, lass uns mit dem Auto nach Österreich fahren. Ist nicht so weit. Und so praktisch, da können wir ALLES mitnehmen, was wir brauchen. Und wenn’s dann doch einmal etwas wärmer sein soll, sind die Balearen ja nicht weit. So praktisch, nur knapp zwei Stunden Flug. Ein Hotel mit überfülltem Speisesaal, dafür aber Kinderbuffet, Baby-Betreuung und Animation? Super praktisch! Lass uns das machen. Wer will schon coole Shisha-Lounges wenn er Kinderdisco haben kann. Der Begriff Schön soll einmal die Ferienplanung gesteuert haben? Nein, da müssen Sie etwas falsch verstanden haben. Praktisch soll es sein! Gutes Essen in einem schönen Restaurant? Überbewertet. Ist doch viel praktischer, man bringt Grundnahrungsmittel gleich selber mit und kocht jeden Abend, dann schmeckt’s auch wie zu Hause. Ghackets und Hörnli schlägt exotischen Fisch vom Grill. Essen die Kinder ja sowieso viel lieber. Wie praktisch!

Tja und dann sitzt man da, in diesen praktischen Ferienwohnungen, die man schon Jahre im Voraus und nach seltsamen Kriterien (Sie bieten Ponyreiten an? Hervorragend, nehmen wir!) ausgewählt und gebucht hat weil man nicht die einzige Familie ist, die praktische Ferien machen möchte - das Bedürfnis scheint weit verbreitet - und hat in der Regel weniger Platz als zu Hause, ist sich also näher als eigentlich immer und dabei ist es doch in der schönen, geräumigen Wohnung zu Hause schon nah genug! Weil man nicht so weit weg verreist ist (wäre einfach zu unpraktisch), ist das Wetter auch nur ansatzweise schön. Was die wiederum praktische Konsequenz nach sich zieht, dass der Liegestuhl total überflüssig wird. Gut, den hätte man nämlich eh nur von weitem gesehen. Vor lauter praktischer Sachen packen gingen die Bücher zu Hause vergessen? Macht nichts. Kleine Kinder finden es nämlich voll öd – und tun das auch lautstark kund -, wenn Mama und Papa bei schlechtem Wetter in der kleinen Ferienwohnung Bücher lesen wollen, während sie mit weniger Spielsachen als zu Hause spielen sollen. Erholung? Ach, Hauptsache die Kinder hatten Spass!

Das Gute ist, dass Kinder grösser werden. Und dass nach unzähligen Wochen naher Ferien in kleinen, praktisch eingerichteten Wohnungen mit grossen Spielplätzen und viel Kindergeschrei in unmittelbarer Nähe bei vielen Eltern eine Art Schmerzgrenze erreicht ist. Und man sich wieder darauf besinnt, dass es ja einmal eine Zeit gab, wo man einfach schöne Ferien machen wollte. 

Ich werde an dieser Stelle dann auch gerne berichten, ob ich diesen Herbst auf der coolen Surfer-Insel tatsächlich SUP ausprobiert, Wellenreiten gelernt und mit dem Kite nicht irgendwo hängengeblieben bin (doch, doch Kinder, Mami ist schon auch mit in den Ferien, ihr müsst nur ganz früh am Morgen aufstehen, dann seht ihr sie auch mal. Und ganz genau schauen: Der kreischende, kleine Punkt dort draussen am Horizont, das ist sie!) und wie wohltuend entspannt und allerseits beruhigend die Kanada-Rundreise in der wilden, einsamen Natur war… Nein, kein Augenrollen und mitleidiges Seufzen an dieser Stelle, wir lassen dieses Projekt und die Kinder noch mindestens zwei Jahre reifen. Aber dann werden wir alle so was von bereit für viel Ruhe, abgeschiedene Natur und ab und zu einen Bären sein, das sage ich Ihnen. Träume werden doch wahr, wenn man ganz fest an sie glaubt...? Ist doch so..., nicht...?!  

Ich wünsche Ihnen schöne Ferien!

Samstag, 6. April 2013

Ich hab dich zum Fressen gern

Wieso haben wir nach wie vor kein Problem damit, Tiere zu töten und sie zu essen obwohl es uns in vielen anderen Bereichen gelungen ist, uns weiterzuentwickeln und archaische Prinzipien und Verhaltensweisen hinter uns zu lassen? Und wieso finden wir es in Ordnung, Kühe und Schweine zu essen, bei Hund und Katz heben wir allerdings empört die Hände und appellieren plötzlich an die Moral?



In der fortwährenden Debatte ums Fleischessen, Vegetarismus und Veganer hatte die New York Times ihre Leser vor ziemlich genau einem Jahr im Rahmen eines Wettbewerbs aufgefordert zu argumentieren, warum Fleisch essen ihrer Meinung nach ethisch sei.

Als ehemalige Vegetarierin (jaja, ehemalig...) und Teilzeit-Yogini, lässt mich die Frage nicht kalt, sobald sie wieder irgendwo auftaucht. Ich bin mir bis heute nicht schlüssig, ob es in Ordnung ist, Fleisch zu essen. Allein die Tatsache, dass mich die Frage jedes Mal irgendwie auf dem falschen Fuss erwischt, sagt vermutlich viel über meine eigentliche - aber leider ganz und gar theoretische - Überzeugung aus. Nichtsdestotrotz esse ich Fleisch und mag’s irgendwie nicht lassen. 

Von yogischer Seite her wäre der Fall eigentlich klar. Fleisch essen sollte man lassen. Einerseits zählt Ahimsa, die Gewaltlosigkeit, zu den höchsten Prinzipien der Yoga-Philosophie. Für den Yogi ist alles Leben heilig. Jede Kreatur ist ein lebendiges Ganzes, mit Herz und Gefühl, Atem und Gespür. Da Fleisch totes Tier ist und bis zum Moment, in dem wir es essen bereits ein Verwesungsprozess eingesetzt hat, glaubt der Yogi zudem, dass keine Keimkraft mehr im Fleisch steckt. Fleisch gibt uns keine neue Lebensenergie, im Gegenteil, es schwächt unseren Organismus. 

Fleischliebhaber argumentieren hingegen gerne damit, dass wir, um uns zu ernähren und zu überleben, seit jeher Tiere gegessen haben. Ohne die Proteine, die unsere Vorfahren aus dem Fleisch zu sich genommen haben, wäre die menschliche Entwicklung nicht an dem Punkt angelangt, an dem wir heute stehen. Ja, ich stimme dem zu. Irgendwie. Allerdings waren wir - wenn wir an die Höhlenmenschen zurückdenken - auch noch nicht so viele. Und wir mussten die Tiere unter grosser körperlicher Anstrengung jagen. Es herrschte ein mehr oder minder fairer Kampf. Einmal war das Mammut schneller, einmal der Mensch. Und wenn sich Vater Feuerstein den Knöchel verstauchte und deshalb kein Tier erlegen konnte, musste die Sippe tage- oder wochenlang auf Fleisch verzichten. Heute züchten wir Tiere explizit mit dem Ziel, sie zu töten und zu essen. Und das tun wir oft, sie essen. Bewegen müssen wir uns dazu nur noch bis zum nächsten Supermarkt. Obwohl wir uns in vielen Lebensbereichen zivilisiert und weiterentwickelt haben, gelingt es einer Mehrheit beim Fleischessen nicht.

Die Vertreter der Steinzeiternährungstheorie erklären das damit, dass sich zwar unser Lebensstil, seit wir noch in Höhlen hausten, rasant weiterentwickelt habe, sich unser Körper allerdings biologisch gesehen noch immer in der Steinzeit befinde. Die Evolution schreitet langsam voran und so kommt unser Körper (noch) nicht damit klar, dass wir uns erst seit ein paar Jahrzehnten markant weniger bewegen und erst seit noch kürzerer Zeit von verarbeiteten Lebensmitteln und Fastfood ernähren. Glaubt man den Vertretern dieser Theorie, liegt im Verzehr der falschen, neuen Lebensmittel (mitunter auch Getreide) die Wurzel allen Übels und aller Zivilisationskrankheiten. Gesund blieben wir demzufolge nur durch eine Ernährung, die überwiegend aus Fleisch und Wurzelgemüse besteht und tief in uns drin scheint unser Körper das noch zu wissen.

Ich finde diese These interessant. Leider löst sie aber weder die Ethikfrage noch mindert sie mein latent schlechten Gewissen. Die Frage drängt sich auf, ob es nicht schlichtweg überholt ist, Fleisch zu essen. Uns stehen heutzutage so viele alternative und hochwertige Eiweissquellen zur Verfügung, die ökologisch sinnvoll gewonnen werden können, dass Fleisch essen irgendwie antiquiert scheint. Ganz zu schweigen davon, dass die Tiere, die wir in der westlichen Welt für unsere Fleischeslust züchten - etwas polemisch und sehr banal gesagt - der hungernden Bevölkerung in der Dritten Welt das Getreide wegfressen und das Wasser wegsaufen. Die Ressourcen sind knapp, verringern sich weiter und doch verschwenden wir weiter Wasser, Boden und Getreide, um uns den Luxus des Fleischkonsums aufrechtzuerhalten.

Vor einiger Zeit, als das schlechte Gewissen wieder einmal überhand nahm, hatte ich bei uns zu Hause den "Meat free Monday" eingeführt. Übergeschwappt ist der Trend eines fleischfreien Tages pro Woche aus den USA. Kurzzeitig hatten ihn verschiedenen Kantinen, Restaurants, Wäre-gern-Gutmenschen - und eben ich - übernommen. So richtig scheint sich die Strömung allerdings nicht durchgesetzt zu haben. Auch bei uns zu Hause hat sich der vegetarische Tag wieder im Sand verlaufen. Die Familie war wenig begeistert und mir fehlten schlichtweg der Biss und die kreativen Ideen, um - eins gegen drei - für die Sache zu kämpfen und die nötige Überzeugungsarbeit zu leisten. Beim Gemüseauflauf heulten die Kinder auf wie Sirenen, beim dritten Mal Tomatenspagetti verdrehte der Mann die Augen. 

Ein weiters, von der Fleischlobby gerne bemühtes Argument ist, dass Fleischessen einfach das Natürlichste der Welt sei. Das mag früher einmal so gewesen sein. Heute trennen wir jedoch Produktion (Schlachten) und Konsum so strikt, dass Kinder erst mit der Zeit realisieren, dass das Wienerli im Fall auch Fleisch ist und erst nochmals einen Schritt später begreifen, dass das einmal ein Säuli war. Ich vergesse den Moment nicht, als unsere ältere Tochter ihrer jüngeren Schwester während des Nachtessens lang und breit erklärte, dass die Wurst auf ihrem Teller im Fall aus Säulifleisch gemacht sei und sie somit grad ihr Lieblingstier esse. Das Entsetzen war riesig und ich habe mich einfach nur schlecht gefühlt, als mich die Kleine mit Tränen in den Augen angeschaut und gefragt hat: Gell, Mami, das stimmt nicht...!? Und ich dann sagen musste: Ähhhhmmmm, jaaaaaa, also, tja, ööööhhhmmm, doch eigentlich stimmt das schon... Grauenhaft. Ihr Blick sprach Bände und sagte es unmissverständlich: Verräter! Das Nachtessen war erledigt, ich auch, die Grosse wollte plötzlich ganz genau wissen, wie man denn die Tiere tot macht und die Kleine hat nur noch geheult ab der schmerzhaften Erkenntnis, dass wir ihr eine tote Sau in die Wurst gepackt und auf dem Teller serviert haben. 

Schlussendlich stellten beide Kinder Fragen wie, ob wir denn auch unser Büsi einmal essen werden (Nein! Um Himmels Willen, Kinder wo denkt ihr hin! - Aber wenn wir doch auch die herzigen Säuli essen, wieso denn keine Hunde und Katzen? Und was ist mit Meerschweinchen? - Kinder, ihr macht mich fertig...) und ob es denn nicht gemein sei, Tiere einfach so töten, um sie zu essen, und ich wusste keine gute Antwort darauf. Doch, es ist wahrhaftig saugemein, dass wir das tun und trotzdem tun wir es. Wieso wir weiterhin mitmachen? Ich weiss es nicht. Die Lust auf Fleisch mag das letzte archaische Überbleibsel sein, das noch in uns steckt. Eine Entschuldigung ist das nicht, höchstens der schwache Versuch einer Erklärung.

Auch die Argumentation des Gewinners des New York Times Wettbewerbs überzeugt mich übrigens nur ansatzweise. Falls es Sie interessiert, lesen Sie hier.

Mittwoch, 12. Dezember 2012

Ruhe vs. Katzenfutter

Oder wieso meditative Leere nicht kampflos zu erreichen ist.

Es ist nun ja so, dass Yoga schon viele Jahre lang einen festen Platz in meinem Leben hat. Und wer Yoga nicht bloss zur körperlichen Ertüchtigung praktiziert, denn Yoga heisst - frei übersetzt - das Zusammenführen von Körper und Seele, der kommt über kurz oder lang nicht darum herum, sich an die Kunst der Meditation heranzutasten. So auch ich. Lange hatte ich mich ihr verwehrt und versucht, sie zu ignorieren. Zu langweilig erschien sie mir. Und ein bisschen Angst hat sie mir auch gemacht. So habe ich sie fortwährend ausgeschlossen aus meinem Leben, habe sie - obwohl ich irgendwie merkte, dass sie wohl gerne reingekommen wäre - draussen vor der Türe warten lassen und ihr Klopfen anfangs ziemlich erfolgreich ignoriert. Zuerst hat sie nur ab und zu geklopft, sanft. Mit der Zeit immer öfter und lauter. Irgendwann war da dann der Moment, wo mich ihr dauerndes Lärmen genervt hat. Und irgendwie tat sie mir dann doch auch leid, so fortwährend klopfend und wartend vor der Türe und so habe mich ihr eines Tages erbarmt und sie halt reingelassen. Hier fängt es dann offensichtlich schon an, etwas schwierig zu werden. Der total falsche Ansatz. Die Meditation wird gerne auch als Königsweg zur Selbstfindung bezeichnet. Da wären ein bisschen mehr Respekt und Hochachtung wohl nicht verkehrt und wenigstens ein Drink zur Begrüssung wahrscheinlich angebracht gewesen. Naja, dafür war es dann zu spät, ich hatte die Tür halt irgendwann einfach so geöffnet und in etwa gefragt, was sie denn wolle und warum sie keine Ruhe gebe. Und seither ist sie da. 

Mein Leben dreht sich, wie die meisten Leben der Leute, die ich kenne, rasant schnell. Das war immer so und ich sehe auch keinen dringlichen Grund, diesen Zustand grundlegend zu ändern. Die Schnelligkeit entspricht meinem Wesen, das Leben bietet so viel, wer rastet, der rostet. Meine imaginäre Liste von Dingen, die ich noch machen, anreissen und ausprobieren möchte, ist lang und wird mit all den Jahren nicht kürzer, sondern tendenziell eher umfangreicher. 


Es liegt daher auf der Hand, dass meine Beziehung zur Meditation etwas holpert, dann und wann stottert, mich mitunter zweifeln und manchmal verzweifeln lässt. Trotzdem tut sie mir gut. Wenn es dann endlich dazu kommt und ich mich überwinden kann, mich auf die Matte zu begeben. Bis ich aber jeweils dahin komme, ich sage es Ihnen, ist es ein Kampf! Vorher fallen mir jederzeit noch mindestens fünfundzwanzig Dinge ein, die wirklich und unbedingt noch erledigt sein müssen. Dringend. Oft ist es dann so, dass die Zeit nach Kaffee trinken, Zeitung lesen, Staubsaugen, Aufräumen, Einkaufen und Gefrierfach abtauen einfach nicht mehr reicht, um noch zu meditieren. Und ich bin einmal mehr davongekommen. Ja, genau, davongekommen. Wer sich nämlich schon einmal in Meditation versucht hat, weiss, dass es nichts Absoluteres gibt als sie. Sie ist anstrengend. Weil sie einen ganz will. Sie lässt keinen Platz für anderes als die Leere. Meditation ist der Inbegriff totaler Hingabe.

Abgesehen davon, dass mir persönlich die Ruhe nicht in den Genen zu liegen scheint, ist es möglicherweise auch eine Erscheinung unserer Zeit, dass uns die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit und Hingabe an eine einzige Sache abhandengekommen ist. Wieso soll ich noch ein Buch lesen, wenn es Hörbücher und Podcasts gibt und ich dazu zeitgleich die Wohnung putzen kann? Die Konzentration auf eine einzige Sache ist so wahnsinnig ineffizient und deshalb gerade heute, wo wir uns so viel Mühe geben, die Ineffizienz auszurotten, so unglaublich wertvoll. Weil sie einen Gegenpol bildet, zur immerzu bewegten Multitasking-Gesellschaft. Die uneingeschränkte Hingabe und das Fokussieren auf einen einzigen Vorgang haben sich zum eigentlichen Luxus meiner Generation entwickelt. Und diesen Luxus möchte ich mir unbedingt von Zeit zu Zeit leisten, wenn er auch nicht leicht zu erlangen ist. 


Kommt es dann nämlich nach längeren inneren Kämpfen doch noch dazu, dass ich mich überwinde, mich auf die Matte begebe und die Augen schliesse, dann wäre es unglaublich falsch zu denken, dass sich unverzüglich ein sozusagen schwebender Zustand und totale Ruhe einstellen. Nein, dann geht es erst richtig los. Augen zu und an nichts denken. Nichts einfacher als das, vor allem, wenn man direkt vom Erledigen der tausend wichtigsten Dinge im Leben atemlos auf die Matte flitzt und plötzlich ganz ruhig werden soll. Also nochmals. Augen zu. Schon rast das Hirn. Blödes Hirn, hör auf zu stressen! Loslassen ist angesagt. Ruhig werden. Nichts denken. Ätsch, sagt das Hirn. Du kannst mich mal. Ich mach jetzt den Einkaufszettel. Nicht! Schreit es in mir. Ich kann mich nicht gleichzeitig in der edlen Kunst der Selbstfindung üben und zuhören, wie mein Geist ununterbrochen Butter, Spinat, Katzenfutter repetiert. Ich versuche es mit Om Nama Shivaya, mit Om Mani Padme Hum, aber das Hirn will nicht. Der Spinat und das Katzenfutter drängen immer wieder vor. Kacke, denke ich. Was oft im Leben, aber in diesem Moment speziell, weder edel noch hilfreich ist. Katzenfutter! schreit es zurück. So kämpfe ich mich jeweils durch die ersten Minuten. Und bin immer wieder erstaunt, dass der Geist mit jeder weiteren Minute, die ich ausharre, zuverlässig ruhiger wird. Tatsächlich. Es kehrt Ruhe ein. Manchmal hört das Hirn sogar auf zu mühlen und alles wird leicht und leer. Nicht immer, aber es kommt vor. Je länger je öfter. Dieser Zustand ist dann so unglaublich schön, das daraus resultierende Gefühl so warm, zufrieden, geborgen und wertvoll, dass sich der vorausgehende innere Kampf immer gelohnt hat.


Danach bin ich froh und glücklich, dass ich damals die Türe doch noch geöffnet und sie reingelassen habe, die Meditation. Nur, sobald wieder ein paar Tage vergangen sind, geht es von vorne los. Wie zum Beispiel jetzt. Ich wollte mich doch endlich vom Computer losreissen. Die Matte liegt seit frühmorgens unbenutzt neben mir. Gleich werde ich anfangen. Nur noch schnell fertigschreiben und nur noch rasch die andern Kleinigkeiten erledigen, die jetzt einfach unbedingt, ja, wirklich unbedingt, noch dringend erledigt werden müssen. Nur noch ganz, ganz, schnell!