Donnerstag, 29. November 2012

Oh du fröhliche

Es weihnachtet. Schön! Und auch etwas kompliziert. Denn die grossen Fragen stellen sich schon früh im Leben.

Kinder zu haben und sie zu erziehen heisst, alles grundsätzlich zu überdenken. Werte, Moral, Traditionen - zu allem sollte man eine klare Meinung haben, seine Vorbildfunktion wahrnehmen, Richtiges vorleben, Wichtiges vermitteln. Ist uns bis jetzt nicht schlecht gelungen, würde ich sagen. Zu vielen Themen hat man ja irgendwie sowieso eine recht klare Haltung, andere klären sich sobald man gezwungen ist, sich damit auseinanderzusetzen und einmal vertieft darüber nachzudenken.

Vielschichtiger und richtig kompliziert wird es bei den grossen Fragen des Lebens. Und die kommen - ich weiss es jetzt - unverhofft und viel früher als man denkt. Aus diversen aktuellen Anlässen wie der bevorstehenden Adventszeit, Weihnachten, Krippenspiele und Weihnachtssingen im Kindergarten, ist das Thema Christentum bei unserer sechsjährigen Tochter hochaktuell. Aus dem Kinderzimmer tönt Andrew Bond seit Wochen lautstark mit seinem Chor: Dä Jeeeeeeesus isch daaaaa, dä Jeeeeesus isch daaaa...! Aha. Ich drehe leicht befremdet das Radio im Wohnzimmer lauter. Beim letzten Besuch in der Bibliothek hat sie sich dann passend zur Saison zielsicher die Kinderbibel gegriffen und seither ist es für mich ungemütlich geworden.

Mein Zugang zur Religion mag etwas kompliziert, vielleicht nicht ganz unverkrampft sein, schon möglich. Ich bin mir zwar bewusst, dass wir in einer christlich geprägten Kultur leben und habe auch keinerlei Probleme, zu akzeptieren, dass auch unsere gesellschaftliche Auffassung von Moral auf den Grundwerten des Christentums beruht. Auch wir beschenken uns zu Weihnachten und suchen Eier an Ostern. So weit, so unverbindlich. Mit aller Deutlichkeit geben wir in unserer Familie allerdings auch der darwinistischen Evolutionstheorie den Vorrang gegenüber der biblischen Schöpfungsgeschichte.

Seit ich meine Androhung als Teenager, gleich nach der Konfirmation, zu der ich einigermassen gezwungen wurde, aus der Kirche auszutreten wahr gemacht hatte, war das Christentum für mich erst einmal erledigt. Der Zugang zur Spiritualität blieb zwar bestehen und es folgten einige mehr oder minder ausschweifende Ausflüge zu anderen Glaubensrichtungen und New Age Strömungen. In weniger spirituellen Phasen gab ich mich allerdings auch gern dem Credo "God is a DJ" hin. Kurzum: Im grossen Ganzen habe ich mich immer sehr wohl gefühlt ohne offizielle Landeskirche im Nacken und mit meinem nicht klar definierten Flickwerk aus diversen Glaubensrichtungen.

Dann kamen die Kinder. Das erst Mal ins Trudeln gerieten wir bei der Frage der Kindstaufe. In solchen Momenten wird einem bewusst, dass man sich nach all den Jahren noch immer nicht ganz gelöst hat von den Ritualen, die man mit dem Kirchenaustritt eigentlich begraben und deren Druck man sich doch ein für alle Mal entledigen wollte. Nach langen Diskussionen fanden wir eine Lösung, die für alle stimmte. Einmal mehr hatte ich aufgeschnauft und gehofft, das Thema wieder für lange Zeit ruhen lassen zu können.

Selbstverständlich will unsere Tochter jetzt jeden Abend aus der Kinderbibel vorgelesen bekommen. Und selbstverständlich stellt sie Fragen. - Sind die Geschichten wirklich passiert? Hat Jesus wirklich gelebt? Hat Gott tatsächlich die Welt erschaffen? Hat er den Menschen gemacht? Du sagst doch im Zoo immer, wir stammen von den Affen ab! - Ich winde mich unter ihren Fragen. Merke, dass ich keine präzisen Antworten auf ihre glasklaren Fragen geben kann oder will. Umständlich versuche ich, die Fragen zu umschiffen. - Naja, weisst du, es gibt Leute, die glauben, Gott habe das alles erschaffen und dann gibt es Leute, die glauben das halt eher nicht. - Und wieso feiern wir denn Weihnachten, wenn Jesus vielleicht gar nicht dann geboren wurde? Glaubst du denn die Bibel lügt? - Es wird heiss. Ich komme hier nicht mehr raus. Ich füge an, weil es mir wirklich wichtig ist, ihr das zu vermitteln - dass ich ja eher glaube, dass ich sogar ziemlich sicher vermute, dass wir uns im Laufe der Zeit entwickelt haben und somit eben doch eher vom Affen abstammen. Es widerstrebt mir, meine Tochter glauben zu lassen, dass sie und ich im weitesten Sinne aus einer Rippe Adams gemacht wurden. Und Weihnachten feiern wir halt einfach, fahre ich möglichst belanglos fort, weil es schon immer so gemacht wurde.

Sie schaut mich an. Überlegt einen Moment. Und dann kommt es. Fadengerade. - Ich glaube aber, dass Gott die Welt erschaffen hat, so wie es in der Bibel steht. - Bamm. Ich fühle mich leicht vor den Kopf gestossen und infrage gestellt. Meine sechsjährige Tochter hat - im Gegensatz zu mir - eine ganz klare Meinung zu ihrem Glauben. Ich merke, dass meine Toleranz und Weltoffenheit unverhofft etwas ins Wanken geraten. Eigentlich will ich sagen: - Nein, stimmt nicht. Es war nicht so. Die Bibel ist ein Geschichtenbuch wie es viele andere Geschichtenbücher gibt. - Nur, woher nehme ich das Recht, meiner Tochter vorzuschreiben was sie zu glauben hat? Weiss ich denn sicher, dass meine Version der Geschichte stimmt, dass ich Recht habe? Wie weit darf ich mein Kind beeinflussen, wie weit ist es meine Aufgabe, sie zu lenken? Wie würde ich damit umgehen, wenn sie im Laufe ihres Lebens streng gläubig würde?

Ich lasse ihre Aussage so stehen, sie ist gedanklich sowieso schon wieder ganz woanders, schlucke dreimal leer, atme dreimal tief durch und frage mich nicht zum ersten Mal wieso mich eigentlich wieder mal keiner vorgewarnt und darauf vorbereitet hat, dass die wirklich komplexen Fragen des Lebens schon in diesem zarten Alter auftauchen.

Frohe Adventszeit allerseits!

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