Mittwoch, 12. Dezember 2012

Ruhe vs. Katzenfutter

Oder wieso meditative Leere nicht kampflos zu erreichen ist.

Es ist nun ja so, dass Yoga schon viele Jahre lang einen festen Platz in meinem Leben hat. Und wer Yoga nicht bloss zur körperlichen Ertüchtigung praktiziert, denn Yoga heisst - frei übersetzt - das Zusammenführen von Körper und Seele, der kommt über kurz oder lang nicht darum herum, sich an die Kunst der Meditation heranzutasten. So auch ich. Lange hatte ich mich ihr verwehrt und versucht, sie zu ignorieren. Zu langweilig erschien sie mir. Und ein bisschen Angst hat sie mir auch gemacht. So habe ich sie fortwährend ausgeschlossen aus meinem Leben, habe sie - obwohl ich irgendwie merkte, dass sie wohl gerne reingekommen wäre - draussen vor der Türe warten lassen und ihr Klopfen anfangs ziemlich erfolgreich ignoriert. Zuerst hat sie nur ab und zu geklopft, sanft. Mit der Zeit immer öfter und lauter. Irgendwann war da dann der Moment, wo mich ihr dauerndes Lärmen genervt hat. Und irgendwie tat sie mir dann doch auch leid, so fortwährend klopfend und wartend vor der Türe und so habe mich ihr eines Tages erbarmt und sie halt reingelassen. Hier fängt es dann offensichtlich schon an, etwas schwierig zu werden. Der total falsche Ansatz. Die Meditation wird gerne auch als Königsweg zur Selbstfindung bezeichnet. Da wären ein bisschen mehr Respekt und Hochachtung wohl nicht verkehrt und wenigstens ein Drink zur Begrüssung wahrscheinlich angebracht gewesen. Naja, dafür war es dann zu spät, ich hatte die Tür halt irgendwann einfach so geöffnet und in etwa gefragt, was sie denn wolle und warum sie keine Ruhe gebe. Und seither ist sie da. 

Mein Leben dreht sich, wie die meisten Leben der Leute, die ich kenne, rasant schnell. Das war immer so und ich sehe auch keinen dringlichen Grund, diesen Zustand grundlegend zu ändern. Die Schnelligkeit entspricht meinem Wesen, das Leben bietet so viel, wer rastet, der rostet. Meine imaginäre Liste von Dingen, die ich noch machen, anreissen und ausprobieren möchte, ist lang und wird mit all den Jahren nicht kürzer, sondern tendenziell eher umfangreicher. 


Es liegt daher auf der Hand, dass meine Beziehung zur Meditation etwas holpert, dann und wann stottert, mich mitunter zweifeln und manchmal verzweifeln lässt. Trotzdem tut sie mir gut. Wenn es dann endlich dazu kommt und ich mich überwinden kann, mich auf die Matte zu begeben. Bis ich aber jeweils dahin komme, ich sage es Ihnen, ist es ein Kampf! Vorher fallen mir jederzeit noch mindestens fünfundzwanzig Dinge ein, die wirklich und unbedingt noch erledigt sein müssen. Dringend. Oft ist es dann so, dass die Zeit nach Kaffee trinken, Zeitung lesen, Staubsaugen, Aufräumen, Einkaufen und Gefrierfach abtauen einfach nicht mehr reicht, um noch zu meditieren. Und ich bin einmal mehr davongekommen. Ja, genau, davongekommen. Wer sich nämlich schon einmal in Meditation versucht hat, weiss, dass es nichts Absoluteres gibt als sie. Sie ist anstrengend. Weil sie einen ganz will. Sie lässt keinen Platz für anderes als die Leere. Meditation ist der Inbegriff totaler Hingabe.

Abgesehen davon, dass mir persönlich die Ruhe nicht in den Genen zu liegen scheint, ist es möglicherweise auch eine Erscheinung unserer Zeit, dass uns die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit und Hingabe an eine einzige Sache abhandengekommen ist. Wieso soll ich noch ein Buch lesen, wenn es Hörbücher und Podcasts gibt und ich dazu zeitgleich die Wohnung putzen kann? Die Konzentration auf eine einzige Sache ist so wahnsinnig ineffizient und deshalb gerade heute, wo wir uns so viel Mühe geben, die Ineffizienz auszurotten, so unglaublich wertvoll. Weil sie einen Gegenpol bildet, zur immerzu bewegten Multitasking-Gesellschaft. Die uneingeschränkte Hingabe und das Fokussieren auf einen einzigen Vorgang haben sich zum eigentlichen Luxus meiner Generation entwickelt. Und diesen Luxus möchte ich mir unbedingt von Zeit zu Zeit leisten, wenn er auch nicht leicht zu erlangen ist. 


Kommt es dann nämlich nach längeren inneren Kämpfen doch noch dazu, dass ich mich überwinde, mich auf die Matte begebe und die Augen schliesse, dann wäre es unglaublich falsch zu denken, dass sich unverzüglich ein sozusagen schwebender Zustand und totale Ruhe einstellen. Nein, dann geht es erst richtig los. Augen zu und an nichts denken. Nichts einfacher als das, vor allem, wenn man direkt vom Erledigen der tausend wichtigsten Dinge im Leben atemlos auf die Matte flitzt und plötzlich ganz ruhig werden soll. Also nochmals. Augen zu. Schon rast das Hirn. Blödes Hirn, hör auf zu stressen! Loslassen ist angesagt. Ruhig werden. Nichts denken. Ätsch, sagt das Hirn. Du kannst mich mal. Ich mach jetzt den Einkaufszettel. Nicht! Schreit es in mir. Ich kann mich nicht gleichzeitig in der edlen Kunst der Selbstfindung üben und zuhören, wie mein Geist ununterbrochen Butter, Spinat, Katzenfutter repetiert. Ich versuche es mit Om Nama Shivaya, mit Om Mani Padme Hum, aber das Hirn will nicht. Der Spinat und das Katzenfutter drängen immer wieder vor. Kacke, denke ich. Was oft im Leben, aber in diesem Moment speziell, weder edel noch hilfreich ist. Katzenfutter! schreit es zurück. So kämpfe ich mich jeweils durch die ersten Minuten. Und bin immer wieder erstaunt, dass der Geist mit jeder weiteren Minute, die ich ausharre, zuverlässig ruhiger wird. Tatsächlich. Es kehrt Ruhe ein. Manchmal hört das Hirn sogar auf zu mühlen und alles wird leicht und leer. Nicht immer, aber es kommt vor. Je länger je öfter. Dieser Zustand ist dann so unglaublich schön, das daraus resultierende Gefühl so warm, zufrieden, geborgen und wertvoll, dass sich der vorausgehende innere Kampf immer gelohnt hat.


Danach bin ich froh und glücklich, dass ich damals die Türe doch noch geöffnet und sie reingelassen habe, die Meditation. Nur, sobald wieder ein paar Tage vergangen sind, geht es von vorne los. Wie zum Beispiel jetzt. Ich wollte mich doch endlich vom Computer losreissen. Die Matte liegt seit frühmorgens unbenutzt neben mir. Gleich werde ich anfangen. Nur noch schnell fertigschreiben und nur noch rasch die andern Kleinigkeiten erledigen, die jetzt einfach unbedingt, ja, wirklich unbedingt, noch dringend erledigt werden müssen. Nur noch ganz, ganz, schnell!